Warum wir beim Reisen kein Ziel haben sollten

Wie wollen wir in Zeiten von Klimakrise und Overtourism reisen? In den witzigen Erzählungen von Fahrten mit dem Zug und klugen Essays über das Reisen komme ich in meinem Buch LANDREISEN (hier könnt ihr es bestellen) zu dem Schluss, dass es eigentlich egal ist, wie weit weg wir fahren. Hauptsache ist nur, dass wir niemals irgendwo ankommen.

Ein Auszug aus dem Buch LANDREISEN von LAYERS Kolumnist Richard

Wenn wir wirklich reisen, benötigen wir kein Flugzeug und erreichen auch nur beiläufig Orte, an denen Hundertschaften urlaubsuchender Touristen unseren Weg kreuzen. Ein reisender Mensch ist selten ungeduldig, sie oder er kennt kein Ziel. Was das bedeuten soll, wirklich reisen? Den Weg zum Ziel machen! Das klingt natürlich erstmal nach einem schnöden Bonmot.

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Aber es ist genau das, was die Reise vom Urlaub unterscheidet. Die oder der Urlaubende bucht vorher und kettet Erwartungen an Versprechen der Reiseunternehmen, Magazin-Stories oder Instagram Postings. Die Reisende dagegen macht sich auf den Weg und erwartet nur sehr wenig. Für sie ist die Reise von ständigen Wendungen geprägt. Noch ein Kalenderspruch: „Die Welt ist ein Buch. Wer nie reist, sieht nur eine Seite davon.“ Diese Worte stammen von Augustinus Aurelius, einem frühchristlichen Theologen und Philosophen. Zu seinen Lebzeiten, 354 Jahre nach Christus, wusste der noch nichts von Pauschalurlauben und City-Trips mit einem Flieger. Hätte er diese Urlaubsformen aber gekannt, so hätte er mit Sicherheit hinzugefügt:„Wer die Seiten eines Buches nur überfliegt, hat das Buch deswegen noch lange nicht gelesen.“

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Es gibt ein starkes Argument für die Reise, auch wenn wir dafür eine gewisse Anstrengung auf uns nehmen. Das klingt erst einmal abschreckend, aber wer einmal etwas außergewöhnlich Schweres geschafft hat, weiß, dass die Belohnung dafür umso größer ist. Es ist doch so: Uns steht es frei, zu wählen, wie weit weg unser Reiseziel ist. Wenn es ein fernes Ziel sein soll, dann fordert das eben etwas von uns. Sehr viel Zeit zum Beispiel. Es wäre einfach unfair, zu behaupten, dass alle Orte dieser Welt gleich leicht erreichbar sind.

Die Preispolitik der Reiseunternehmen und Fluggesellschaften suggeriert uns das zwar, aber es bleibt Blödsinn. 

Von einem Ort mitnehmen lassen

Wir sollten versuchen, beim Reisen offen zu bleiben und unsere Eitelkeit dabei so weit hintanstellen wie nur möglich. Statt immer wieder etwas nach Hause mitbringen zu wollen, könnten wir doch einmal versuchen, uns von dem Ort mitnehmen zu lassen. Unsere persönlichen Vorstellungen von einem guten Leben einmal kurz ignorieren und für einen Moment ein bisschen so leben wie die Menschen, deren Heimat wir besuchen. Möglicherweise kommt das dann dem nah, was eine echte Reise ausmacht. Wir kommen nie wieder so richtig zurück nach Hause, zumindest nicht so, wie wir los gereist sind.

Als Autor und freier Journalist ist Richard mit der Forschung am guten Leben beschäftigt. Er war Mitgründer des transform Magazins und arbeitete dort in der Chefredaktion bis 2019. Anschließend erschien von ihm das Taschenbuch Landreisen. Weitere Veröffentlichungen von Richard sind zu finden bei GEO Saison, der Freitag oder ze.tt (ZEIT Online). Für LAYERS schreibt er über aufregende Reisen, die Schönheit der Langsamkeit im Alltag und das Leben als frisch gebackener Papa.

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