„Diese erste Zeit der Gründung kann nervenaufreibend sein. Alles fängt bei einem selbst an.“

Selbst & Ständig – Interview mit Marlene Marx und Pia Egelkraut von avonté

Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Tag gut wird, erhöht sich drastisch, wenn er mit einem verbummelten Morgen im Lieblingspyjama startet. Diese eigens aufgestellte Theorie hat mich spätestens überzeugt, seitdem mein Schlafanzug von avonté eingezogen ist und mich durch gemütliche Stunden – und oft auch darüber hinaus – begleitet hat.

Zu verdanken habe ich diese ebenso bequeme wie stilsichere Freude Pia Egelkraut und Marlene Marx. Bei ihrer Arbeit bei einer bekannten Fair Fashion Marke aus Köln lernten sich die beiden kennen und schätzen. Mit der Zeit wuchs der Wunsch, ein eigenes nachhaltiges Label auf die Beide zu stellen und damit etwas gegen die Überproduktion in der Mode zu unternehmen. Das widerspricht sich? Ganz und gar nicht, denn für ihr Unternehmen avonté setzen Marlene und Pia auf sogenannten „deadstock“, also ungenutzte Stoffe, die früher oder später vernichtet werden.

Im Gespräch mit den beiden erfahrt ihr u.a., welchen neuen Ansatz die beiden bei der Entwicklung ihrer Produkte verfolgen, vor welchen Herausforderungen sie in ihrer Selbstständigkeit bisher schon standen und warum sie mit einem Coach zusammen arbeiten.

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Pia und Marlene, die Gründerinnen von avonté (Fotos: Schwarzchrom).

Ihr habt euren sicheren Angestelltenjob verlassen, um ein eigenes Fair Fashion Label zu gründen. Wie kam euch die Idee für avonté und könnt ihr euch noch an den Moment erinnern, als feststand: „Wir ziehen es jetzt durch!“? 

Marlene: Die Idee zu avonté ist in Portugal inmitten einer Lagerhalle voller Stoffe entstanden. Pia und ich sind durch unseren vorherigen Job viel gemeinsam zu Produktionsstätten gereist. Und irgendwann standen wir ein einer Lagerhalle voll mit ungenutzten Stoffrollen, die perspektivisch vernichtet werden würden. Wir wussten über das Problem “deadstock” Bescheid, das Ausmaß aber mit eigenen Augen zu sehen hat uns schockiert und zugleich inspiriert, etwas gegen die Überproduktion in der Mode zu unternehmen. Rückblickend würde ich sagen, dass war der Ursprung von avonté. Bis es dann aber so weit war hat es noch etwas gedauert.

Wir haben uns Zeit genommen, das passende Produkt zu finden, zu entwickeln und uns mit der Idee einer Selbstständigkeit auseinanderzusetzen. Wir haben gemerkt, wie viel Freude und Energie uns die Arbeit an unserer Idee schenkt.

Ende 2022 waren wir dann an dem Punkt, wo es uns einfach so sehr dahin gezogen hat, die Idee auch umzusetzen. Die Neugier, was da alles entstehen kann, hat dann einfach überwogen. Das war der Zeitpunkt, wo wir uns sagten: Ok, wir probieren es jetzt einfach aus! Und seitdem verfolgen wir unser Herzensprojekt Tag für Tag und sind sehr dankbar, dass wir das tun können. 

Was macht avonté einzigartig? 

Pia: Wir drehen den Prozess der Produktentwicklung um. Wir denken also nicht in Kollektionen, Farbkonzepten und Trends. Stattdessen entwickeln wir zeitlose und flexible Schnitte und starten die Produktentwicklung mit der Auswahl der Stoffe aus den vorhandenen Reststoffen der Branche. Das ist ein neuer Ansatz und stellt uns oft vor Herausforderungen und fordert uns heraus anders zu denken. Denn wir arbeiten mit limitierten Materialien und einer begrenzten Auswahl. 

Wie habt ihr eure erste Kollektion entwickelt und welche Überlegungen standen dabei im Vordergrund? 

Pia: Unser erstes Produkt haben wir sorgfältig ausgewählt. Wir verstehen den Pyjama als Basis, jedoch als mehr als nur ein Kleidungsstück. Es ist eine Hülle aus weichem Stoff, die uns Geborgenheit und Entspannung vermittelt.

Wir wollen unsere Modelle langfristig im Sortiment behalten, daher war es uns wichtig, wirklich im Detail herauszufinden, was den perfekten Pyjama ausmacht.

Außerdem stand im Fokus, dass dich das Produkt vom Bett bis auf die Straße begleiten kann. Je nachdem, wie du es stylst, soll dein Pyjama so zur Alltagskleidung werden. Die Grenzen verschwinden also. Bei der Auswahl der Stoffe haben wir darauf geachtet, dass die klassisch sind, mit hochwertigen Details wie kleinen Webeffekten. 

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Marlene Marx

Wie wählt ihr eure Materialien aus und was sind die wichtigsten Kriterien, die ihr bei der Auswahl berücksichtigt? 

Marlene: Wir setzen auf hochwertige, natürliche Materialien, die unseren Qualitätsstandards entsprechen und umfassend von uns getestet wurden.⁠ Dabei legen wir besonderen Wert auf Materialien, die angenehm auf der Haut sind – Stoffe, die wir am liebsten gar nicht mehr ausziehen wollen. Das bedeutet konkret: Wir schauen vor Ort in Portugal, welche Reststoffe aktuell zur Verfügung stehen und machen eine Vorauswahl. Dabei achten wir auf Zusammensetzung, Haptik und Design. Anschließend werden die Stoffe auf unsere definierten Qualitätsparameter geprüft und anschließend von uns einem Praxistest unterzogen. Erst wenn die Stoffe all diese Anforderungen erfüllen, erwägen wir, sie zu nutzen. Außerdem ist uns wichtig, dass alle Stoffe, die wir retten aus unmittelbarer Nähe zu unserem Produktionspartner in Portugal stammen. So halten wir die Transportwege kurz. ⁠ 

Wie seht ihr die Zukunft der Modebranche im Hinblick auf Nachhaltigkeit und Fairness und welche Rolle spielt euer Unternehmen dabei? 

Pia: Die Modeindustrie steckt leider noch sehr in alten Strukturen fest und ist wenig flexibel. Auch wenn sich viel im Bereich von nachhaltigen Materialien tut, ist es nur ein Bruchteil von Marken, die diese auch nutzen.

Wir sollten das System, wie wir Mode im kommerziellen Bereich entwickeln, grundsätzlich überdenken.

Die kurzen Saisonzyklen, die Massen an Ware, die auf den Markt gespült werden, die Überproduktion, die dadurch generiert wird und Ressourcen verschwendet, sind ein großer Hebel. Nachhaltigkeit beginnt schon beim Design. Circular Design sollte Standard sein. Wie kann ich das Produkt so gestalten, dass es nach seiner Nutzungsphase wiederverwertet/recycelt werden kann? Mir meiner Verantwortung bewusst zu sein – was löst meine Entscheidung in der Kette jetzt aus? – ist unfassbar wichtig. 

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Pia Egelkraut

Was ist für euch der größte Unterschied zwischen der Arbeit als Angestellte und als Selbstständige? 

Pia: Was besonders Spaß macht: die Selbstwirksamkeit. Wir können Entscheidungen fällen und die Dinge so angehen, wie wir es möchten. 

Was uns noch schwer fällt, sind die Unsicherheiten, die die Selbstständigkeit mit sich bringt.

Es gibt kein festes Gehalt am Monatsende und da wir noch ganz am Anfang stehen wissen wir noch nicht, ob wir nachhaltig erfolgreich sein werden. Wo vorher die Aufgaben auf vielen Schultern verteilt wurden, sind es nun nur wir Beide, die alles machen. 

Eine Gründung kann eine echte Achterbahnfahrt sein. Sicher habt ihr in den letzten Monaten auch Einiges erlebt. Wollt ihr einen Glücksmoment und ein Fail mit uns teilen? 

Marlene: Da sind so viele Glücksmomente wie Fails. Oft passiert alles jeden Tag. Um vielleicht ein paar Dinge zu nennen: als wir die erste Produktion angestoßen haben und dann abends im Hafen saßen und begriffen haben: “Das haben wir geschafft”.

Wir sind uns unserem Privileg einfach so sehr bewusst und dankbar dafür, dass wir das ausprobieren dürfen.

Und, dass avonté aus unserer Kraft und unseren Entscheidungen heraus entstanden ist. Als dann die erste Palette in Köln eingetroffen ist, war wieder so eine Situation. Ungläubig standen wir davor. 

Auch, dass wir unsere erste Kampagne mit der tollen Marlen Müller shooten durften und wir so viele Unterstützer um uns herum haben. Was ein großes Glück! 

Fails: die Bürokratie in Deutschland, an der wir so verzweifelt sind. Stichwort Steuernummer. Wie lange haben wir darauf gewartet und in der Zwischenzeit wichtige Deadlines nicht halten können, weshalb sich dann die ganze Produktion verschoben hat. Oder als wir plötzlich einen Wasserrohrbruch im Lager hatten. Gottseidank ist nichts Wildes passiert, aber da bleibt einem das Herz stehen. Und dann wurde uns ein Fabric weggekauft, welches wir schon fest eingeplant hatten. Da muss man tief durchatmen und weitermachen. 

Was war euer größtes Learning bisher? 

Pia: Plane mehr Zeit ein als gedacht. Bleib entspannt. Und das ist leichter gesagt als getan.

Diese erste Zeit der Gründung kann nervenaufreibend sein. Alles fängt bei einem selbst an.

Keine neue Erkenntnis, aber auch hier wieder die Bestätigung dessen. Egal, in welchem Kontext – sich selbst bewusst zu sein und sich trauen. Und sein Netzwerk zu nutzen. Alle sind schon da. Man muss es nur sehen und ansprechen. 

Viele Unternehmen scheitern in den ersten Jahren ja leider, weil sich die GründerInnen zerstreiten. Wie habt ihr für euch entschieden, dass ihr die richtige Partnerin für euer Business an der Seite habt? 

Marlene: Wir haben uns beide beruflich kennengelernt und viele Jahre im Team gearbeitet. Dann ist daraus auch eine Freundschaft entstanden. Das ist sicher von Vorteil, wir wissen, wie wir ticken, kennen unsere gegenseitigen Stärken und Schwächen. Trotzdem war uns von Anfang an klar, dass wir uns in einer Selbstständigkeit wieder neu finden müssen. Daher haben wir zu Beginn eine Feedback-Kultur mit festen, regelmäßigen Terminen aufgebaut und uns eine Coachin gesucht, die uns im Team begleitet. 

Wie sieht euer Arbeitsalltag aktuell aus? Habt ihr feste Aufgabenbereiche für jede definiert oder macht ihr alles gemeinsam? Lasst uns mal ein wenig über eure Schultern schauen. 

Marlene: Wir haben die Aufgabenbereiche grob nach unseren Stärken und Kenntnissen aufgeteilt. Das ist auch schon aufgrund unserer Kapazitäten nicht anders möglich. Ganz grob bedeutet das, dass Pia alles Kreative verantwortet, während ich den kaufmännischen Bereich innehabe. Die wichtigen Entscheidungen fällen wir aber gemeinsam. Dann gibt es noch Bereiche, die wir gemeinsam verantworten, einfach weil sie zu wichtig sind oder wir beide neu in dem Bereich sind. Dazu gehört zum Beispiel Social Media oder Pressearbeit. 

Worauf können wir uns in Zukunft freuen? Gibt es Pläne für weitere Produkte und Styles? 

Pia: Oh ja. Wir werden unser Sortiment bald um einen sommerlichen Pyjama erweitern. Dafür haben wir tolle Stoffe gefunden und gerettet und auch erstmals ein Leinen im Sortiment. 

Gerade sind ja auch unsere T-Shirts auf den Markt gekommen und momentan sitzen wir schon wieder an der Planung für den Herbst. Ihr dürft also gespannt sein! 😊 

Vielen Dank für das Gespräch, Marlene und Pia!

Die nachhaltige Nachtwäsche und ebenso gemütliche wie stylische Loungewear von avonté könnt ihr euch hier anschauen und bestellen. Folgt Pia, Marlene und der Reise mit ihrem Label auch auf Instagram.

Was andere Menschen antreibt, ihre Geschichten und persönlichen Erfahrungen, besonders von GründerInnen, interessieren Francis am Meisten. Auf LAYERS findet ihr daher zahlreiche Interviews mit spannenden Persönlichkeiten. Außerdem stellt euch Francis regelmäßig Designfavoriten, Kulturnews und Lieblingsorte vor.

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