Slow Living mit Design aus Finnland

Im Gespräch mit Sandra und Ulla von KaisuMari

Erst neulich habe ich durch den Artikel unseres LAYERS Kolumnisten Richard den Begriff „armchair travelling“ kennengelernt. Was die Briten damit beschreiben? Das Erkunden der Welt vom heimischen Wohnzimmersessel aus – mit Hilfe von Filmen, Dokumentationen oder Büchern und neuerdings sicher auch Social Media oder Podcasts. Doch auch beim Durchstöbern von Online Shops können wir uns eine Brise Fernweh und Inspiration für die nächste große Reise nach Hause holen. Oder es uns gleich mit ausgewählten Stücken im Stil der erträumten Destination zu Hause gemütlich machen.

Wer, wie ich, sein Herz an Skandinavien verloren hat, für den hat ein Familienunternehmen aus Hamburg eine ganze Menge „armchair travel“ Inspiration in petto. Im Online Shop von KaisuMari findet ihr finnische Designprodukte, die euch den Alltag nicht nur erleichtern, sondern auch schöner machen und ein Stück Finnland in die eigenen vier Wände zaubern.

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Doch wieso skandinavisches Design aus Deutschland? Ganz einfach: weil es die namensgebende Kaisu aus Nordfinnland in den 1970er Jahren hierher verschlagen hat und sie schon vor über 25 Jahren ein Ladengeschäft mit den Lieblingsprodukten aus ihrer Heimat eröffnet hat. Ihre beiden Töchter Ulla und Sandra unterstützen sie nun im Online Business und entwickeln gemeinsam sogar eigene Produkte.

Im Interview mit Sandra und Ulla erfahrt ihr, was die drei Frauen unter „slow living“ verstehen, wie es ist mit der eigenen Familie zu arbeiten und welchen Reisetipp für Finnland sie mit uns teilen können.

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Sandra und Ulla sind Zwillingsschwestern und führen gemeinsam mit ihrer finnischen Mama den Online Shop für finnisches Design KaisuMari.

Das Stöbern in eurem Online Shop weckt das Fernweh nach Skandinavien. Was ist das Besondere an Finnland?

Finnland ist wie ein naturbelassener Diamant, in dessen Wildheit gerade seine Schönheit liegt.

Es ist einerseits sehr skandinavisch mit seiner Lebensart und den duftenden Kiefernwäldern und klaren Seen. Aber es hat auch eine sehr eigene, uralte nordische Kultur. Die Finnen haben im letzten Jahrhundert einen großen Sprung an die Spitze der Moderne gemacht und dabei ein paar sehr ursprüngliche Besonderheiten bewahrt. Darunter eine tiefe Verbundenheit zur Natur. Der Wald ist von jedem Wohnort schnell zu erreichen und für jedermann da, um sich zu regenerieren und um Beeren und Pilze zu sammeln.

Die Finnen sind wild und witzig. Sie stehen zu ihren Ecken und Kanten und lachen sehr gerne über sich selbst. Mit großem Spaß und Einsatz werden zum Beispiel solche Sportarten wie Wollsockenrennen im Schnee („villasukkajuoksu“) zelebriert.

Eine typisch finnische Eigenschaft ist „sisu“: Das Wort bezeichnet eine innere Stärke, die es möglich macht in scheinbar ausweglosen Situationen durchzuhalten. Die Finnen übertragen „sisu“ auf alle möglichen Lebenssituationen.

Die finnische Gesellschaft ist sehr gleichberechtigt, vielleicht auch aus der Sprache heraus, die keinen Unterschied zwischen Geschlechtern macht. Wir glauben, dass auch diese selbstverständliche Gleichberechtigung ein Grund dafür ist, dass die Finnen zum vierten Mal in Folge zum glücklichsten Volk der Erde ernannt wurden.

„Finnland ist wie ein naturbelassener Diamant, in dessen Wildheit gerade seine Schönheit liegt.“

Eure Mama kommt aus Finnland. Wo seid ihr aufgewachsen? Welche Erinnerungen und Gefühle verbindet ihr mit Finnland?

Unsere Mama kommt aus dem Norden Finnlands, noch eine Tagesreise von Helsinki entfernt, an der Grenze zu Lappland. Und auch wenn wir in Deutschland aufgewachsen sind, haben wir als Kinder sehr viel Zeit dort verbracht, auf dem Bauernhof unserer Großeltern. Das war sehr ursprünglich, so wie man sich einen skandinavischen Bauernhof vor 100 Jahren vorstellen würde, mit rotem Holzhaus und drumherum nur Felder, Wälder und unten den Fluss. Wir Kinder waren dort sehr frei, und immer noch ist die Erinnerung daran für uns mit dem Gefühl ultimativer Freiheit gekoppelt.

Als Studentinnen und auch nach dem Studium haben wir eine Weile in Finnland gelebt. Dann aber in der Hauptstadt Helsinki. Dort haben wir die städtische Seite von Finnland für uns entdeckt, die wir auch sehr lieben: Die langen Festival-Nächte (die Finnen lieeeeben Sommer-Festivals). Überhaupt das Gefühl von endlosen Sommertagen, die mit den Nächten verschwimmen, entspannte Stimmung, Picknick auf warmen, glatten Granitfelsen, das kühle Meer überall in der Stadt und die gleichzeitig entspannte und selbstbewusste Art der finnischen Frauen.

Eure Mama hat vor über 25 Jahren das Ladengeschäft in Aurich gegründet. Nun der Schritt ins Digitale. Hand auf’s Herz: Fiel ihr das schwer?

Ihr fiel es schwer, das Ladengeschäft aufzugeben. Es war ihr Baby und wir haben den Laden mitten im ersten Lockdown 2020 aufgelöst. Das war ein großer Kraftakt, auch emotional. Andererseits freut sie sich, dass KaisuMari online weiterlebt und sich auch in der nächsten Generation weiterentwickelt. Und sie genießt ihre neuen Freiheiten. Mit 73 Jahren ist sie auch froh, nicht mehr jeden Tag im Laden zu stehen.

Was versteht ihr unter Slow Living?

Wir glauben, dass es uns allen gut tut, einen Gang herunterzuschalten. In allen Lebensbereichen, auch beim Einkaufen: Dass wir uns lieber bewusst für ein hochwertiges Teil aus gutem Material entscheiden, das wir dann in Ehren halten – lieber als im Vorbeigehen drei Teile in den Einkaufswagen zu schmeißen, die bald danach in den Müll wandern. Wir lieben auch das japanische Konzept Wabi Sabi, das im Prinzip bedeutet, dass wir einfache aber gut gemachte Dinge anschaffen und sie pflegen, und auch mal reparieren. Solche Dinge bekommen eine Patina, haben eine Geschichte und sind seelenvoll. Sie geben unserem Zuhause Charakter und Gemütlichkeit. Mal abgesehen davon, dass so ein Einkaufen sowohl für die Natur als auch auf Dauer für den eigenen Geldbeutel nachhaltig ist.

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Auch für die Küche und das Bad gibt es jede Menge Inspiration und nordisches Design bei KaisuMari.

Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit bei euch?

Unser Ziel ist es, dass sich möglichst viele Menschen ein nachhaltig hergestelltes Produkt leisten können. Das bedeutet, dass wir einerseits auf die Herstellung und andererseits auf den Preis achten. Er sollte in einem vernünftigen Verhältnis zum Wert des Gegenstands und der Arbeit, die dahinter steckt stehen und gleichzeitig noch erschwinglich sein. Die Textilien, die wir anbieten, bestehen zum Beispiel aus Leinen, Hanf oder innovativen Materialien wie Tencel/Lyocell, die in Anbau und Verarbeitung die Umwelt möglichst wenig belasten. Die meisten unserer Produkte werden entweder in Finnland oder zumindest in Europa hergestellt, viele sind handgemachte kleine Kunstwerke. Wir haben aber z.B. auch Teppiche von Finarte im Programm, die in Indien gewebt werden. Das finden wir in Ordnung, weil der Familienbetrieb Finarte mit den Webereien dort fair zusammenarbeitet und die Teppiche auf diese Weise für mehr Menschen erschwinglich sind. Und last but not least: Wir packen unsere Pakete selbstverständlich ohne Plastik.

Wie spürt ihr die Marken und Produkte auf? Nach welchen Kriterien wählt ihr aus?

Neue Marken finden wir oft etwas abseits der „normalen“ Wege und besuchen zum Beispiel auch kleine finnische Messen, die nicht, wie die großen, in Helsinki stattfinden. Denn wir finden es schön, kleineren Betrieben mit guten Produkten und jungen finnischen Designern eine Plattform zu geben. Die junge finnische Design-Szene ist sehr spannend. Allerdings hat Ulla ein ziemlich eindeutiges Bauchgefühl was den Stil angeht, und daran kommt nichts vorbei, das ihr nicht wirklich gut gefällt. Insofern ist unsere Auswahl sehr ausgesucht und speziell, und wem unser Stil gefällt, der wird bei uns wahrscheinlich viele Lieblingsteile für sich finden.

Ihr seid ein echtes Familienbusiness. Wie ist die Zusammenarbeit als Familie? Was ratet ihr allen, die auch überlegen, ein Familienunternehmen zu gründen?

Wir haben als Zwillinge untereinander und auch zu unserer Mama ein sehr enges Verhältnis, und das hilft wahrscheinlich sehr. Aber egal wie eng das Verhältnis, ein wertschätzender Umgang ist wohl in jeder Arbeitsumgebung wichtig. Lustig ist, dass sich für uns die Arbeit gar nicht wie Arbeit anfühlt, sondern wie eine gemeinsame Leidenschaft.

Was wir allen sagen können, die ein Familienunternehmen gründen wollen: Bringt Durchhaltevermögen mit, also eigentlich sisu. 😉 Und dann hilft es, auf das Bauchgefühl zu achten und nicht zu viel danach zu schauen, was die anderen machen oder sagen. Es gibt so viele Theorien und Anleitungen, wie etwas gemacht werden sollte, aber eigentlich ist es am besten, den eigenen Weg zu finden.

Wie ist eure Aufgabenverteilung intern? Wer ist wofür zuständig?

Alle wichtigen Entscheidungen treffen wir gemeinsam, aber bei der Auswahl der Produkte, beim Styling und den Bildern hat Ulla als Designerin und Illustratorin das letzte Wort. Sandra interessiert sich vor allem für die Geschichte hinter den Dingen und kümmert sich um die Texte und zum Beispiel um die Beiträge im Magazin.

Wenn ich es richtig verstanden habe, betreut ihr das Label und den Online Shop nebenbei. Wie ist euer beruflicher Werdegang und was macht ihr noch?

Tatsächlich haben wir es vor Kurzem gewagt, für dieses Abenteuer unsere Berufe über Bord zu werfen! Ulla war mehr als 20 Jahre lang Stylistin in Skandinavien und eigentlich in aller Welt. Und Sandra hat zuerst an der Hamburger Uni und dann 15 Jahre lang für Grüne Abgeordnete gearbeitet.

„Wir haben 100.000 unausgereifte Ideen im Kopf, wie ein riesiges Moodboard.“

Ihr entwickelt auch eigene Produkte. Wie entstehen diese? Nehmt uns doch kurz mit in den Prozess.

Eigentlich haben wir immer ungefähr 100.000 unausgereifte Ideen im Kopf, wie ein riesiges Moodboard. Komischerweise ist es so, dass wir dann an manchen Plänen ewig herumdoktern und irgendwie nicht voran kommen, während andere sich fast wie von selbst sofort umsetzen lassen – als ob das Universum das irgendwie aussortiert. Manchmal fallen zwei oder mehr alte Ideenschnipsel durch irgendeinen Anlass plötzlich zusammen, und auf einmal macht alles total Sinn, und das gibt einen richtigen Energie-Schub ;D

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Habt ihr ein ganz besonderes Lieblingsstück? Wenn ja, welches ist es?

Wir haben eigentlich nur Lieblingsstücke im Programm. 😉 Aber ja, wenn uns eines ganz besonders am Herzen liegt, dann ist das unser Himmeli. Ein zauberhaftes zartes Mobile in alter finnischer Tradition, das es bei uns als Bastelset gibt. Und klar, nicht allen liegt das Basteln im Blut, deshalb (pssst) wird es das Himmeli wohl bald auch als fertiges Mobile bei uns geben.

Gibt es einen finnischen Designklassiker, der in keinem Haushalt fehlen sollte?

Es gibt ja viele legendäre finnische Designklassiker, und wir lieben zum Beispiel unsere Essence Weingläser sehr, ebenso den Sarpaneva-Gusseisen-Topf. Aber der eine finnische Design-Klassiker, den wir zu Hause wirklich ständig in Gebrauch haben ist der Citterio Servierlöffel von Iittala. Er ist so ein Handschmeichler und dazu so praktisch – einfach eines dieser Teile, die man immer automatisch als erstes aus der Schublade holt.

„Lasst Euch Zeit, um echte Lieblingsstücke zu finden.“ 

Habt ihr einen Tipp, wie man es sich mit nicht allzu viel Aufwand und Budget zu Hause „skandinavisch gemütlich“ machen kann?

Also wenn Ihr sofort etwas verändern möchtet, würden wir zum Beispiel mal ausprobieren, eine passende Wolldecke oder einen Lieblings-Teppich einfach mal wie ein großes Bild an die Wand zu hängen. Über das Sofa oder hinter den Esstisch. Das gibt sofort total viel Gemütlichkeit. Und eine Kochlöffel-Sammlung aus Holz oder kleine Gegenstände wie hölzerne Buttermesser sind günstig, nützlich und bringen sofort sehr viel skandinavische Gemütlichkeit in die Küche oder auf den Tisch.

Allgemein würden wir für die Einrichtung immer natürliche Materialien wählen: Holz und Leinen zum Beispiel, die in Würde altern, sich auch mal ausbessern lassen und mit der Zeit nur schöner werden. Lasst Euch Zeit, um echte Lieblingsstücke zu finden. Und wenn die Grundeinrichtung relativ schlicht ist, lässt sie sich immer gut mit ein paar Accessoires verändern, für die Lust auf Neues. 😉

Wenn das Reisen wieder uneingeschränkt möglich ist: Welche Destination könnt ihr allen Finnland-Neulingen empfehlen?

Wir würden Euch vorschlagen, nach Helsinki zu fliegen, Euch die schöne Stadt im Meer mit ihren spannenden Design-Vierteln anzuschauen und im Sommer mit einem Picknick im Gepäck die vielen Strände und Badeinseln zu erkunden. Von Helsinki aus kann man einen schönen Tagesausflug mit dem Boot in die idyllische alte Holz-Stadt Porvoo machen. Im Anschluss würden wir zum Inselhopping durch die Schären starten. Wenn man einen Buchungsbeleg für eine Übernachtung auf einer Schäreninsel hat, ist die Fähre günstiger und sowieso zahlt man nur für ein Auto, Fahrradfahrer fahren umsonst mit. Ein Besuch der Ǻland-Inseln lohnt sich in dem Zusammenhang auch auf jeden Fall. Wer aber wirklich mal abschalten möchte, sollte sich für ein paar Tage irgendwo im nirgendwo ein Mökki mit Sauna am See mieten. Und für alle, die gerne Kanu fahren, ist das riesige Saimaa-Seengebiet ein Traum!

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Vielen Dank für das schöne Interview!

Folgt KaisuMari für noch mehr nordisches Design auch auf Instagram!

Pssst: Noch mehr Design-Inspiration findet ihr in unserer Kategorie Design. Wie wäre es zum Beispiel mit einem Artikel über den finnischen Formgestalter Tapio Wirkkala, von dem vor ein paar Jahren Werke im Leipziger Grassi Museum ausgestellt wurden.

Was andere Menschen antreibt, ihre Geschichten und persönlichen Erfahrungen, besonders von GründerInnen, interessieren Francis am Meisten. Auf LAYERS findet ihr daher zahlreiche Interviews mit spannenden Persönlichkeiten. Außerdem stellt euch Francis regelmäßig Designfavoriten, Kulturnews und Lieblingsorte vor.

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