Hast du mit deinen Eltern schon mal übers Altwerden und Pflegen gesprochen? Für unsere Gastautorin Peggy Elfmann war das lange kein Thema. Als ihre Mutter die Diagnose Alzheimer erhielt, wäre ein guter Zeitpunkt gewesen, aber es fiel so schwer. Zwölf Jahre begleitete sie ihre Mutter und unterstützte ihren Vater mit der Pflege. Heute plädiert sie dafür, sich frühzeitig mit dem Thema zu beschäftigen. In ihrem Buch „Meine Eltern werden alt. 50 Ideen für ein gutes Miteinander“ gibt sie Anregungen, welche Fragen erwachsene Töchter und Söhne sich und ihren Eltern stellen können und wie sie leichter durch diese Phase des Lebens kommen.
Ich hatte mit meinen Eltern nie übers Altwerden oder Pflegen gesprochen. Warum auch? Sie waren ja gesund und fit. Sie waren beruflich fest eingebunden, unternahmen gerne Reisen und machten viel Sport. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, mit ihnen über das Thema Pflegeheim zu sprechen. Und sie auch nicht.
Als meine Mama Jahren die Diagnose Alzheimer erhielt, wäre das vermutlich ein guter Zeitpunkt gewesen, um anzufangen zu sprechen. Sie war gerade mal 55 Jahre alt, mitten im Leben stehend. Für sie und die ganze Familie war die Diagnose ein Schock. Wir hatten zwar Auffälligkeiten bemerkt und Mama wirkte überfordert, aber dass dahinter eine Demenzerkrankung stecken könnte, das war uns nicht in den Sinn gekommen. Der Arzt überwies Mama zur Abklärung ins Krankenhaus.
Als Papa mich nach zwei Tagen anrief und sagte, „Deine Mutti hat Alzheimer“, konnte ich das nicht glauben.
Alzheimer mit 55 Jahren? Ich wusste nicht viel über die Krankheit und auch nicht, was Pflegen wirklich bedeutet. Ich hatte große Angst um Mama. In meinem Kopf sah ich sofort das Bild, wie sie einsam und verwirrt in einem Pflegeheim sitzt. Das wollte ich auf keinen Fall. Und genau wie für meinen Bruder auch, stand für mich von Anfang an fest, dass ich für sie da sein möchte.
Ich wünschte, wir hätten früher gesprochen
Aber wie kann das funktionieren? Wie kann man sich gut um ein Elternteil kümmern, das Pflege benötigt und selber ein eigenes Leben aufbauen? Als Mama die Diagnose erhielt, hatte ich erst ein Kind. Meine Tochter war knapp drei Jahre alt und ich wünschte mir ein zweites Kind.
Aber durfte ich ein Kind bekommen, wenn absehbar war, dass meine Mama Betreuung und Pflege benötigen würde?
Würde ich mich um zwei Kinder kümmern können und eine Mutter mit Alzheimer pflegen?
Heute habe ich drei Töchter – zwischen acht und 15 Jahren – und mehr als ein Jahrzehnt der Begleitung meiner Mama mit Alzheimer liegen hinter mir. In den vergangenen Jahren bin ich so oft wie möglich zu meinen Eltern gefahren, um für Mama da zu sein und Papa mit der Pflege zu unterstützen. Meine Selbstständigkeit hat mir viele Freiheiten in dieser Hinsicht ermöglicht, aber ich habe auch erfahren, wie schwer es ist, Pflegen und Beruf zu vereinbaren. Ich habe in all den Jahren viel gelernt, über meine Eltern, über das Pflegen und auch über mich.
Mit all dem Wissen aus den vergangenen Jahren würde ich heute einiges anders machen.
Ich würde früher das Gespräch suchen und mit meiner Mama über Pflege-Themen sprechen. Spätestens ab dem Zeitpunkt der Diagnose hätten wir anfangen sollen, das zu bereden. Aber die Krankheit machte mir Angst und Mama wurde immer traurig, wenn wir darüber sprachen.
Ich war so unsicher und dachte, wenn ich über solche Themen wie Pflegeheim spreche, würde sie denken, dass ich mich nicht um sie kümmern möchte, dass ich sie abschieben möchte – und das wollte ich auf keinen Fall.
Hätten wir früher gesprochen, hätten wir dies ohne Zugzwang und Druck tun können, viel lockerer und leichter als mit dem Wissen um die Diagnose.
Das geht schon noch. Wirklich?
Im Laufe der Jahre nahmen aber natürlich die Herausforderungen durch die Demenz zu. Mama brauchte immer mehr Unterstützung, beim Anziehen, Waschen und Essen. Sie entwickelte einen großen Bewegungsdrang, ging im Haus immerzu ihre Runden, ihre Sprache verstummte. Ich wünschten, wir hätten uns mehr über diese Veränderungen unterhalten und beherzter notwendige Entscheidungen getroffen. Stattdessen versuchten wir an dem festzuhalten, was war.
Vielleicht war es Unsicherheit, vielleicht die Sorge vor hohen Kosten, vielleicht die Angst vor dem Fortschreiten der Krankheit – und vermutlich auch einen kleinen Funken Hoffnung, dass Mama gesund werden würde.
Aber es gibt kein Medikament gegen Alzheimer, nichts, was die Krankheit aufhalten kann. Mama brauchte immer mehr Betreuung und Pflege, Papa kümmerte sich tags und nachts um Mama und kam an seine Grenzen. Ich wusste, dass er dies gerne tat und ihm nichts wichtiger im Leben ist als meine Mama, aber zum einen ist Pflegen anstrengend und zum anderen wurde er selber älter – heute ist er 84 Jahre alt.
Ich wollte ihm helfen und recherchierte nach Unterstützungsmöglichkeiten. Wenn ich zu meinen Eltern kam, hatte ich auch Vorschläge dabei. Und auch der Arzt riet zu mehr externer Hilfe, etwa der Tagespflege oder dem Pflegedienst. Aber meinem Papa fiel es schwer, das anzunehmen. „Das geht schon noch“, wurde zu seinem Standardspruch. Ich glaubte dies auch gerne. Aber immer häufiger merkte ich, dass es eben doch nicht mehr so gut ging. Dass er nicht nur gefordert, sondern in vielen Momenten auch überfordert war.
Ich würde einiges anders machen
Nach und nach übernahmen mein Bruder und ich immer mehr Aufgaben und auch Verantwortung für meine Eltern. Wir mussten für sie Entscheidungen treffen, weil meine Mama dies nicht mehr konnte und auch mein Papa überfordert war.
Und oft habe ich mir gewünscht, ich hätte die eine oder andere Frage noch stellen können.
Als ich für meine Mama den Vertrag fürs Pflegeheim unterschrieb und sie ein paar Tage später dahin umzog, wusste ich zwar, dass es richtig war, weil wir sie daheim nicht mehr so versorgen konnten, wie sie dies brauchte. Und doch hatte ich ein unheimlich schlechtes Gewissen. Es hätte mir geholfen, von ihr gehört zu haben, dass es okay wäre und sie nicht gewollt hätte, dass wir uns aufopfern.
Wenn ich so zurückblicke, weiß ich, dass ich alles in bester Absicht gemacht habe. Aber mit dem Wissen von heute würde ich manche Entscheidung mutiger und früher treffen. Etwa der Umbau im Haus. Meine Eltern lebten in einem Einfamilienhaus, das Schlafzimmer war im ersten Stock. Mamas Probleme beim Treppensteigen nahmen zu und wir überlegen lange, was die beste Lösung wäre: ein Umzug oder ein Umbau? Und entschieden dann immer wieder abzuwarten, auch weil Papa meinte: „Das geht schon noch.“ Erst als eskalierte und Mama mehrere Abende hintereinander gar nicht mehr die Treppen gehen konnte und wir ihr auch mit Erklärungen und gutem Zureden nicht helfen konnten, stimmte Papa einer Veränderung zu. Wir zogen zunächst das Schlafzimmer ins Erdgeschoss, was die Situation sehr entspannte, kurze Zeit später ließen wir ein Zimmer im Erdgeschoss zum Bad umbauen. Als alles erledigt war, dachte ich: Wir hätten das schon viel früher machen sollen. Wir hätten uns und vor allem Mama viel Stress erspart.
50 Ideen für erwachsene Töchter und Söhne und deren Eltern
Vor fünf Jahren habe ich angefangen, einen Blog über Alzheimer zu schreiben. Seitdem beschäftigt mich das Thema Demenz und Pflegen auch als Journalistin zunehmend. Ich habe mit vielen Angehörigen gesprochen und oft den Satz gehört: „Hätte ich das mal früher gewusst und gemacht.“ Das spiegelte meine Erfahrung wieder und ließ den Gedanken keimen, all meine Erfahrungen und Wissen in einem Buch zu bündeln – und sie anderen mit auf den Weg geben. Herausgekommen ist mein Buch „Meine Eltern werden alt. 50 Ideen für ein gutes Miteinander“, das gerade bei Hanserblau erscheinen ist.
Ich zeige Themen auf, die erwachsene Kinder mit ihren Eltern besprechen können, um einander zu verstehen und so für den Pflegealltag und mitunter schwierige Entscheidungen vorbereitet zu sein und diese besser zu meistern.
Hilfreich sind etwa Familienkonferenzen, Exklusiv-Zeit miteinander zu verbringen und Banden zu bilden. In meinem Buch stelle ich Impulse für schöne, gemeinsame Aktivitäten vor und erkläre, warum der Blick auf die Lebensgeschichte wertvoll ist. Darin finden sich Anknüpfungspunkte für Hobbys und Aktivitäten, die für Lebensqualität sorgen – und die Eltern stärken.
Ich schreibe über Themen, die als schwierig gelten, aber wichtig sind: Die Finanzen klären, denn Pflegen ist teuer. Den Blick auf das Ende wagen und Vollmachten aufsetzen. Auffälligkeiten beim Fahren oder der Gesundheit ansprechen, Hilfe ins Haus holen.
Mir ist es ein Anliegen, darauf hinzuweisen, dass Pflegen und Kümmern am besten auf viele Schultern verteilt werden und nicht die Aufgabe eines einzelnen Angehörigen sind.
Im Buch gebe ich auch Anregungen, wie erwachsene Töchter und Söhne ihre Rolle finden und Grenzen ziehen – und sich so vor Überforderung schützen.