5 Jahre selbstständig – würde ich es wieder tun?

Autorin Pia Maack zieht ein Resümee aus fünf Jahren freien Arbeitens

Ich stehe an meiner Siebträgermaschine und koche mir den zweiten Kaffee des Tages. Gerade habe ich meinen Sohn in die Kita gebracht und vor mir liegen sechs Stunden Arbeitstag. Ich schnappe mir die Tasse, fülle einen großen Schluck Hafermilch ein, greife meinen Laptop und trete auf die Terrasse unserer Leipziger Stadtwohnung. Ich spüre das weiche Holz unter meinen nackten Füßen, das von der Morgensonne leicht gewärmt ist und atme die Sommerluft durch meine Nase. Ich nehme einen großen Zip Kaffee und spüre dieses vorfreudige Kribbeln auf den Tag.

Ich liebe diese Art von Morgen, nur mit mir, meinem Kaffee und dem Laptop. Es ist Montag, und wie jede Woche freue ich mich, an die Arbeit zu gehen. Nicht, weil das Wochenende nicht schön war. Ganz im Gegenteil. Sondern, weil ich meine Arbeit wirklich liebe. Seit fünf Jahren arbeite ich als freiberufliche Autorin, Redakteurin und Texterin. Der Schritt in die Selbstständigkeit war eine der besten und wichtigsten Entscheidungen in meinem Leben. In meinen persönlichen Phasen der Selbstständigkeit fasse ich zusammen, warum ich diesen Schritt gewagt, was ich dabei gelernt habe und gerne vorher gewusst hätte. Und kläre: Würde ich es wieder tun?

Das muss doch möglich sein?! 

Ich stieg damals an fünf Tagen in der Woche im Dunkeln in eine vollgestopfte S-Bahn, um in ein Großraumbüro zu gelangen. Dort zog ich eine Karte durch eine Zeiterfassungsmaschine und setze mich an den Rechner. Ich blieb 8 bis 9 Stunden an meinem Schreibtisch sitzen. Für Meetings, Kaffeekochen und aufs Klo gehen, stand ich natürlich hin und wieder auf. Und für die Mittagspause. Aber nur 30 Minuten, sonst musste ich wieder die Karte ziehen. Es war nicht so, dass mir die Arbeit nie Spaß machte, viele Kollegen und Kolleginnen waren FreundInnen geworden. Kein Wunder, wir verbrachten jede Woche 42 Stunden zusammen plus Pause, plus Überstunden. Vor allem Überstunden, denn wer mehr davon hatte, galt als besonders fleißig. Mich frustrierte, dass es vollkommen egal war, wie produktiv ich war, ob ich meine Arbeit bereits nach fünf Stunden geschafft hatte oder nach stundenlanger kreativer Arbeit sowieso nichts Gutes mehr aufs Papier bringen würde. Was zählte waren am Ende der Woche 42 Stunden auf der Zeiterfassungsuhr.

„Ich möchte dieses kostbare wundervolle Leben voll und ganz genießen, auch während der Zeit, in der ich mein Geld verdiene.“ 

Ich fällte die Entscheidung: So möchte ich nicht meinen Alltag verbringen. Ich möchte nicht arbeiten, um Zeit zu füllen, auf das Wochenende oder meine 30 Urlaubstage zu warten. Ich möchte dieses kostbare wundervolle Leben voll und ganz genießen, auch während der Zeit, in der ich mein Geld verdiene. Das muss doch möglich sein!? Und so lehnte ich den unbefristeten Vertrag und die Gehaltserhöhung ab, die man mir anbot, und wagte den Schritt in die Selbstständigkeit, um genau dies herauszufinden.

Gründungsphase als Aufnahmeprüfung

Meine Entscheidung gegen die vermeintliche Sicherheit und für die Selbstverwirklichung traf vor allem auf Skepsis in meinem Umfeld.

Wie willst du denn dein Geld verdienen? Meinst du wirklich, dass du das kannst? Da hast du nie wirklich frei! Was, wenn du scheiterst?

Ich antwortete immer das Gleiche: Ich werde es einfach mal probieren! Ich war Mitte 20, motiviert, voller Energie und Ideen, hatte keinerlei Verantwortung, zum Beispiel für ein Kind, keine laufenden Kredite und Investitionen braucht mein Job schließlich auch nicht. Alles, was ich benötigte, war mich und einen Laptop. Eine Finanzspritze gab es die ersten sechs Monate in Form des sogenannten Gründungszuschusses. Das war meine Deadline.

Sechs Monate. Wenn ich es in dieser Zeit nicht schaffe, ein Einkommen zu generieren, von dem ich leben kann oder unglücklich in der Situation bin, suche ich mir eine neue Festanstellung. Der Antrag für den Gründungszuschuss war für mich dabei wie eine Art Aufnahmeprüfung zur Selbstständigkeit. Das wohl Erwachsenste, was ich bis dato getan habe. Ich schrieb nächtelang an einem Businessplan und besuchte ein Gründungsseminar, in dem es um Steuern und Krankenversicherung ging. Ich lief zum Finanzamt und hatte Gespräche bei der Agentur für Arbeit.

Und dann ging es endlich los: Ich bastelte mir eine Website, schrieb die ersten Sachen als Selbstständige für meinen alten Arbeitgeber und Kunden, die ich bereits aus der Festanstellung kannte. Ich telefonierte rum, schrieb E-Mails und trank unzählige Kaffees mit potenziellen Kunden und Kundinnen. Ich hatte meine ersten Aufträge! Und auch wenn ich in den ersten Wochen weit mehr als 50 Stunden arbeitete, fühlte es sich ganz und gar nicht so an. Denn ich lernte so viel Neues, ich hatte Spaß, weil es für MICH und meine „Sache“ war, für die ich brannte.


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Es sind MEINE Herausforderungen

Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass mich jeder Tag in den fünf Jahren meiner Selbstständigkeit glücklich gemacht hat. Wenn ich sagen würde, dass ich jeden Morgen mit einem Lächeln auf den Lippen gestartet bin. Wenn ich sagen würde, dass ich nicht hin und wieder total k.o., frustriert oder überfordert war. Mir sind KundInnen abgesprungen, ich hatte Schreibblockaden, Aufträge haben sich gestapelt, ich habe mit Sorge aufs leere Konto geblickt, musste unbezahlten Rechnungen hinterherlaufen, den Folgen einer Pandemie ins Auge blicken und mich mehr als einmal den patriarchalen Strukturen der Branche erlegen zeigen. Doch all‘ diese Herausforderungen waren MEINE Herausforderungen. An jeder von ihnen bin ich gewachsen, ist mein Business gewachsen, jede Sekunde Arbeit war Arbeit für mich und meine „Sache“.

„Mir sind KundInnen abgesprungen, ich hatte Schreibblockaden, Aufträge haben sich gestapelt, ich habe mit Sorge aufs leere Konto geblickt, musste unbezahlten Rechnungen hinterherlaufen, den Folgen einer Pandemie ins Auge blicken und mich mehr als einmal den patriarchalen Strukturen der Branche erlegen zeigen.“ 

An idealen Tagen arbeite ich vor allem, wenn mein Kopf klar, meine Motivation hoch ist, die Ideen sprudeln. Brauche ich eine Pause, verabrede ich mich auf ein Kaffee oder zum Mittagessen mit Freundinnen, gehe joggen oder lege mich mit einem Buch in die Sonne, um danach mit frischer Energie zu starten. Ich verreise viel, denn eins hat sich nicht geändert: Ich brauche nur mich und meinen Laptop. Und auch als Mama, die ich mittlerweile seit fast drei Jahren bin, ist dieses hohe Maß an Flexibilität schier unbezahlbar. Ob ich so viel Geld verdiene, wie ich es heute in meiner Festanstellung täte? Nein. Ob ich weniger arbeite? In Stunden – ja! Ob ich produktiver, motivierter und zufriedener bin? Ja, ja, ja!

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Zauberwort Absicherung

Meine persönliche Kehrseite der Selbstständigkeit: Kranksein bedeutet immer Verdienstausfall, Verschieben von Deadlines und anschließende Nachtschichten. So haben mein Mann und ich beispielsweise schon während der Schwangerschaft Geld zur Seite gelegt, damit auch ich es in den Wochen vor der Geburt etwas ruhiger angehen lassen kann. Mutterschutz gab es für mich nicht. Absicherung ist das Zauberwort. Eins der liebsten Wörter der Deutschen, denk ich manchmal. Ich grübele nicht viel darüber nach, wie ich mir meinen Lebensabend finanziere, und ich kriege auch keine Bauchschmerzen, wenn ich nicht weiß, wie viel Geld diesen Monat eingeht oder mal ein Minus auf dem Konto steht. So lange ich weiß, ich kann alle Rechnungen bezahlen und ich und meine Familie sind gesund und glücklich dabei, ist für mich alles gut. So bin ich einfach. Das hilft an vielen Stellen, ist aber mit Sicherheit auch durchaus naiv. Nicht zu vergessen, meine privilegierte Situation: Mein Job verlangt keine Investitionen wie Ladenmiete, Kreditraten oder Material- und Personalkosten. Darüber hinaus habe ich einen Partner mit festem Gehalt. Sollte ich urplötzlich alle meine Aufträge verlieren oder für länger krank werden, könnte und würde mein Mann unsere Familie für eine Weile alleine versorgen. 

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Der Prozess bringt die Selbstverwirklichung

Zu Beginn der Selbstständigkeit drehte sich für mich alles vor allem ums Reinkommen, die Monatsmiete verdienen, KundInnen an Land ziehen. Ich nahm jeden Auftrag an, den ich kriegen konnte und lernte mit jedem dazu. Und irgendwann, schwer zu sagen, wann genau, entwickelte ich meine Nische. Ich lernte irgendwie prozessartig, in welchen Dingen ich richtig gut bin und meine KundInnen wussten es auch bald. Ich spezialisierte mich, entwickelte mich genau an diesen Stellen weiter.

„Ich nahm jeden Auftrag an, den ich kriegen konnte.“ 

Heute lerne ich genau die richtigen Menschen zur richtigen Zeit kennen, als ob sich alles immer wieder fügt. Ich stelle Projekte auf die Beine, die wiederum neue Themen anstoßen, die zu meiner „Sache“ passen. Ich verdiene zu dem Mammut-Anteil meiner Zeit Geld mit Dingen, die mir Freude machen, für die ich brenne. Immer noch lerne ich dazu, stecke mitten im Prozess. Selbstverwirklichung fühlt sich für mich nicht statisch an, auch sie entwickelt sich immer weiter. Und das ist ziemlich grandios finde ich, denn so stehen uns ein Leben lang immer wieder neue Optionen, Wege und Herausforderungen zur Verfügung.

Würde ich den Schritt in die Selbstständigkeit wieder wagen? Auf jeden Fall! Würde ich es jedem Menschen raten, sich selbstständig zu machen? Oh nein. Aber mit etwas Geld zu verdienen, was glücklich macht, kann ich absolut empfehlen. 

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Auf LAYERS begibt sich Pia auf die Suche nach der perfekten neuen Arbeitswelt. Wie sieht ein produktives Home Office aus, sollten wir unsere Kinder bei einer Bewerbung verheimlichen und warum redet eigentlich keiner offen über Geld? All diesen und vielen weiteren Fragen rund um das Thema New Work geht Pia nach.

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