Schwarz und Weiß – Fride über die zunehmende Farblosigkeit der freien Meinungsäußerung in den sozialen Medien

Believe the Hype – Frides Medien und Zeitgeist Kolumne

(Vorsicht. Dieser Beitrag enthält Zitate aus den sozialen Netzwerken, die auf zartbesaitete Gemüter verstörend wirken könnten.)

Frides Kolumne kannst du dir auch von ihr vorlesen lassen.

6.30 Uhr:

Das Training im Gym ist absolviert und wohligen Gemüts sitze ich vor meinen liebevoll drapierten Frühstücksstullen. Der heilige Milchkaffee dampft vor sich hin. Nichts kann meinen inneren Fride-Frieden zerstören. Ich nehme mein Handy in die Hand und rufe Twitter auf, um die themenstärksten Nachrichten des Tages zu recherchieren…

6.35 Uhr:

Fride an Weltall. Fride an Weltall. Bitte schicken sie umgehend eine intergalaktische Raumpatrouille und holen sie mich von diesem Planeten. Vielen Dank. Over.

6.40 Uhr:

Warum habe ich das getan?! Reicht es nicht, sich „100 Sekunden Tagesschau“ auf Spotify anzuhören?! Musste ich wieder die Twitter Trends von Deutschland und den USA öffnen? Nur um tagespolitisch up to date zu sein (Sportereignisse, TV-Sendungen sowie Games, Xavier Naidoo-Entgleisungen und K-Pop nicht zu vergessen)?

Neben den News lässt mein Gehirn mich aus einem mir unerfindlichen Zwang heraus die unzähligen Beiträge von Twitter UserInnen mitlesen, deren Weltbild anscheinend klar in „schwarz“ und „weiß“, „richtig“ oder „falsch“ eingeteilt ist. Argh!

In welchen Rollen diese Schwarz-Weiß-Subjekte im Netz agieren?

Eine kleine Übersicht von „Menschen in sozialen Netzwerken, die denken ihre Ansichten veröffentlichen zu müssen, sei unverzichtbar“ folgt:

1. Der/Die „relevante Probleme dieser Welt“-KommentatorInnen:

„Ich bin gespannt wie viele Kunden Knorr gewinnt und verliert. Ich jedenfalls kaufe nicht bei Weichtieren. In diesem Sinne, gönne ich mir jetzt einen Smoothie von truefruits.“

(Knorr nennt seine Zigeunersoße in Paprikasoße um)

2. Der „Frauenversteher“-Kommentator:

 „Ja außer für pornos oder als straßennutte ist die für nichts zu gebrauchen xD und selbst bei letzterem nur für 5 Eur pro nacht wenn überhaupt. Ekelhaft fotze.“

(Promi Big Brother)

3. Der/Die „weltoffene“ KommentatorIn:

„Seht her, die Bundesheulboje hat mal wieder darauf aufmerksam gemacht, wo sie herkommt. Haben wir erst 2423452374 mal gehört. Lösch dich einfach, Safran!“

(SPD-Politikerin Sawsan Chebli kandidiert für Wahlbezirk Berlin Charlottenburg-Wilmersdorf)

Wer allerdings denkt nur AfD-AnhängerInnen, ImpfgegnerInnen und MaskenverweigerInnen würden diesen Stuss von sich geben, wird auf Twitter eines Besseren belehrt. Denn das muss man dem Netzwerk lassen: Die Anzahl der Schwarz-Weiß-Subjekte umfasst in Gaußscher Normalverteilung alle Gruppierungen.

Ob sich selbst als „Grüne*r /Linke*r /Sapiosexuelle*r /Straight Edge AnhängerIn /RechtspopulistIn /FeministIn /NationalbiertrinkerIn /hart arbeitender BürgerIn /“frei denkender Mensch“ definierend  – Jede*r urteilt und richtet über alles und jeden jederzeit. Wer eine andere Meinung als die eigene vertritt, wird gnadenlos niederkommentiert. Bist du nicht für mich, bist du gegen mich.

So seien an dieser Stelle noch diese Typen erwähnt:

4. Der/Die „Bildungsvermittlung“-KommentatorIn:

„Sauft ihr Lack oder seid ihr nur blöde? Die Pest dauerte 7 Jahre und hat damals ein Drittel der damaligen Weltbevölkerung gefordert.“

(über Coronaleugner)

5. Der/Die „Fakten keine Behauptungen“-KommentatorIn

„Ich denke du bekommst keine Stelle, weil du den akademischen Stallgeruch nicht hast. Weiss, männlich, cis-Eltern auch Professoren oder ähnliches. Und progressiv labern und konservativ handeln. Wenn du das alles änderst, bekommst du Stelle so wie Amthor.“

(Philipp
Amthors Job bei Wirtschaftskanzlei „White & Case“)

Zu letzterer Kategorie gehört übrigens der Präsident der Vereinigten Staaten. Donald Trump ist stets vorn dabei, wenn es um weiß gegen schwarz… äh… ich meine natürlich Schwarz-Weiß-„Fakten“ geht.

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Doch versteht mich nicht falsch. Es gibt Gründe warum ich Twitter nutze:

Ich schätze das Netzwerk für die Möglichkeit, Welt-und Regionalgeschehen in Echtzeit und oft aus erster Hand zu erfahren sehr. Beispiel USA: Sah und las man in den alten Medienkanälen über die Protestmärsche gegen Polizeigewalt nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd größtenteils nur die Ausschreitungen und Plünderungen in US-amerikanischen Städten, konnte man auf Twitter von UserInnen Videos und Eindrücke der Massen friedlicher DemonstrantInnen sehen. (Und ja, bei #WallofMoms und #WallofVets war ich ergriffen. Da schlägt die pathetische Ader durch.) Selbstverständlich vermitteln auch diese Eindrücke lediglich einen mini-subjektiven Blick auf das Zeitgeschehen. Aber sie ergänzen das Bild, das man von traditionellen Medien extern vermittelt bekommt.

„Ich schätze das Netzwerk für die Möglichkeit, Welt-und Regionalgeschehen in Echtzeit und oft aus erster Hand zu erfahren sehr.“

Und:

Nahezu überall wo es eine Kommentarfunktion gibt, findet sich Hetze, Mobbing und der Gebrauch sämtlichen Vokabulars an Fäkalsprache. Man kann sich also auch mit ZEIT Online den Tagesstart versauen.

Doch obwohl ich selbst ein diskussionsfreudiges Wesen besitze und den Austausch mit Menschen, die unterschiedlichste Auffassungen und Ansichten vertreten, meistens bereichernd finde:

Auf Twitter schweige ich. Und behaupte mal kühn, es tun mir etliche gleich. Warum kommentieren? Es findet eh keine Diskussion auf Augenhöhe statt. Oder sie wird überdeckt von dem abfälligen Geschreibe der Schwarz-Weiß-Subjekte.

Mag das selbst eine Schwarz-Weiß-Ansicht sein? Vielleicht. Werde ich die schweigende Masse verlassen? Sicherlich nicht. Solange sich im digitalen Umgangston nicht grundlegend etwas ändert, verharre ich in der Twitter-Anonymität. Und versuche mich nicht aufzuregen. Um 6.40 Uhr morgens.

Wer eine andere Ansicht dazu hat, kann gern den Austausch mit mir suchen. Eine Anleitung wie man dies aber nicht angehen sollte: siehe Zitate in diesem Artikel.

Es grüßt friedlich

Fride

Die neuste Instagram Challenge, tanzende Promis auf TikTok oder Entgleisungen im Trash TV: Frides Blick auf die Medien entgeht nichts und sie bezieht auf charmant-(selbst-)ironische Art Stellung zu jedem Phänomen.

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