Kathrin Rieger hat mit der ZAROF. GmbH kurz nach der Wende Mut bewiesen und ein eigenes Unternehmen gegründet. 30 Jahre später sollen Tochter Marie-Luise Rieger und Kollegin Augustine Burkert übernehmen. Im Interview berichten die drei, wie ihnen dieser Transformationsprozess gelingt und welchen Einfluss ihre persönlichen Erfahrungen als Mütter darauf haben.
Kathrin, als ZAROF. 1994 gegründet wurde, warst nicht nur du dabei, sondern auch schon Marie – allerdings nicht als Managerin, sondern als kleine Tochter einer frischgebackenen selbständigen Mama. Das war bestimmt eine aufregende Zeit!
Kathrin: Ja, da war ich genau 30, Marie war 9 und Carli, mein Sohn, 5 Jahre alt. Zur Gründung von ZAROF. kam es in diesen gesamten Wendeturbulenzen. Ich war zu der Zeit an der Handelshochschule und habe dort promoviert.
Während ich damals viel in der Bibliothek saß, habe ich natürlich gesehen, was draußen alles so passiert. Wir jungen wissenschaftlichen Mitarbeitenden waren uns damals einig:
Wir wollen nicht die Vorlesungen für unsere Professoren umschreiben, sondern etwas Eigenes machen!
So haben wir dann ZAROF. ursprünglich als Zentrum für Arbeits- und Organisationsforschung gegründet, mit dem Ziel, diese tiefgreifende Transformation hier in Ostdeutschland zu erforschen. Aber wir wollten nicht nur forschen, sondern auch Vorschläge machen, wie man das gut gestalten kann.
In der DDR waren fast alle Frauen berufstätig. Das hat sicher auch noch in die 90er Jahre hineingewirkt. Hat es für dich damals eine Rolle gespielt, dass du Mama warst?
Kathrin: Es war für mich eigentlich eher ein Grund, dass wir uns selbstständig machten. Ich dachte: Okay, dann hast du maximale Freiheit und kannst dir das mit den Arbeitszeiten so hin- und herjonglieren, wie du es brauchst.
Gab es für dich auch Herausforderungen, die sich aus dieser Doppelrolle ergeben haben?
Kathrin: Ja, definitiv. Natürlich musste ich auf Dienstreisen fahren. Und manchmal gab es Termine nach 17 Uhr. Aber da hatten wir einen super Freundeskreis.
Nicht nur die Mütter haben sich gegenseitig unterstützt, auch einige Väter haben geholfen, was damals noch viel weniger selbstverständlich war als heute.
Bei mehrtägigen Dienstreisen kam meine Mutter, Oma Lie, aus der Altmark angefahren, das Auto vollgeladen mit leckeren Sachen, die sie schon gekocht und gebacken hatte. Und wenn Oma Lie das Haus betrat, hieß es: Okay, ich übernehme jetzt hier das Familienmanagement. Ohne meine Mutter und ihre Unterstützung hätte ich das nicht so geschafft.
Das klingt wirklich schön! Gab es in den 90er Jahren von gesellschaftlicher Seite Vorbehalte, weil du als Mama auch deine Karriere vorantreibst? War das etwas, wofür du dich auch rechtfertigen musstest?
Kathrin: In Leipzig hat es gar keine Rolle gespielt. Hier war klar, jeder musste jetzt irgendwie sehen, wie er oder sie diese krasse Transformation bewältigt. Jeder musste nach seinem Platz, seinen Perspektiven und seiner Rolle suchen.
Aber wenn ich dann im Westen unterwegs war, irgendwelche Vorträge gehalten haben, hieß es oft: Wie machen Sie das? Das war immer eine große Überraschung.
Trotzdem war es bestimmt nicht immer einfach. Hattest du viele schlaflose Nächte?
Kathrin: Ja, aber wir waren damals, glaube ich, im Vergleich zu heute optimistischer – vielleicht auch ein bisschen blauäugig.
Wenn wir das alles schon gewusst hätten, worauf man alles achten muss und wie schnell man selbst als Geschäftsführerin irgendwo landet, wo man gar nicht sein möchte … Ich glaube, es war gut, dass ich das alles gar nicht so genau wusste.
Und hattest du so eine Art Strategie für Zeiten, in denen es unübersichtlich und vielleicht auch etwas überfordernd wurde?
Kathrin: Ich habe halt immer total gebrannt für das, was ich mache. Und das hat mich mit so viel Energie gefüllt, dass sich für alles irgendwie eine Lösung gefunden hat.
Ich habe gar nicht so darüber nachgedacht, woran das jetzt wieder alles scheitern könnte. Mein Gedanke war immer eher: Okay, wie machst du das jetzt?
Ich war ganz tief überzeugt, dass es immer eine Lösung gibt.
Marie, wie hast du diese Zeit wahrgenommen? War das für dich so ganz selbstverständlich, dass deine Mama Unternehmerin war? Oder hast du als kleines Mädchen auch festgestellt, da ist bei euch schon etwas anders als bei den anderen Eltern in deiner Klasse?
Marie: Ja, natürlich. Ich bin mit ZAROF. aufgewachsen. Seitdem ich mich gut erinnern kann, ging es irgendwie auch zuhause immer um ZAROF. Ob ich gemerkt habe, dass es bei uns anders war als bei den anderen Kindern in meiner Klasse?
Ich habe relativ schnell gemerkt, dass es Wendeverlierer und Wendegewinner gab. Und ich habe sehr für mich festgestellt: Wir gehören auf jeden Fall als Familie zu der Seite, die hier die Dinge selbst in die Hand genommen hat, gestalten kann und das auch so hinbekommt, dass es gelingt.
Da bin ich tatsächlich mit einem Urvertrauen groß geworden.
Was hat dich damals als Mädchen beeindruckt?
Marie: Ich erinnere mich, dass Aufträge auf EU-Ebene umgesetzt wurden, es gab Reisen nach Italien, Finnland und Österreich. Ihr habt aber auch Sachen in Deutschland gemacht. Ihr wart viel in der Altmark unterwegs und habt die kleinen Handelsläden untersucht.
Das waren alles sehr spannende Themen, die auch immer eine Alltagsrelevanz hatten. Das ist etwas, das uns als ZAROF. heute noch trägt. Die Dinge, die wir tun, haben einen direkten Impact auf das Zusammenwirken von Menschen in der Arbeit. Das habe ich damals schon ziemlich genau verstanden und das hat mich sehr beeinflusst.
Gleichzeitig ist es als Selbständige und Unternehmerin ja nicht immer einfach, alles zu jonglieren. Wie hast du das als Tochter wahrgenommen?
Marie: Es gibt es etwas, das ich erst, als ich selbst Kinder bekam, so richtig kapiert habe: Meine Mama war immer präsent. Dass du einen schweinevollen Terminkalender hattest, war mir nicht bewusst. Seit ich selbst Mutter bin und eine verantwortungsvolle Rolle bei ZAROF. einnehme, merke ich erst mal, was das auch für ein Brett ist, das so zu können.
Gibt es denn auch Dinge, bei denen du sagst: Das mache ich jetzt bewusst ganz anders als meine Mama?
Marie: Ich glaube, wir befinden uns ja auch selbst als ZAROF. gerade in einer Transformationsphase. Und ich denke, gegenüber der Leichtigkeit und vielleicht auch mit dem Leichtsinn, mit dem ihr damals so in den Ring gestiegen seid und losgaloppiert seid, hat sich bei uns eine andere Ernsthaftigkeit eingestellt. Für uns stehen große Fragen im Raum. Wo steht ZAROF. in 20 Jahren? Womit werden wir unser Geld verdienen? Was ist es dann, was die Arbeitswelt braucht?
Ich würde gerne nochmal auf unser Kernthema zurückkommen: Mama und Unternehmerin sein. – Denkt ihr, das ist herausfordernder geworden im Vergleich zu den 90ern oder vielleicht sogar leichter?
Marie: Ich glaube, weder noch. Dass ich Kinder bekommen habe, war für mich auf jeden Fall der krasseste Game-Changer meines Lebens – mein Leben ganz neu strukturieren zu müssen und auch von ihnen den Spiegel vorgehalten zu bekommen. Da kommen Themen hoch, Trigger, von denen ich dachte, dass ich sie schon in meinen 20ern bewältigt hätte.
Ich glaube, das ist für mich der größte Persönlichkeitsentwicklungs-Booster gewesen.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass nochmal etwas kommt, das mich so krass nach vorne bringt wie meine Kinder.
Welche Stärken nimmst du aus deinem Mamaalltag in den Berufsalltag mit?
Marie: Die Fähigkeit, noch viel stärker Verantwortung zu übernehmen, zu organisieren, Sachen zu entscheiden, schnell zu sein, effektiv zu arbeiten, auf den Punkt etwas fertig zu bekommen.
Wie kam es dazu, dass ihr Augustine für die zukünftige Unternehmensführung mit ins Boot geholt habt?
Kathrin: Ich kenne Augustine, seitdem sie lebt. Augustines Mama Kerstin war meine allerbeste Freundin im Studium. Ich habe ja schon Anfang des zweiten Studienjahres Marie bekommen. Ich bin Kerstin bis heute so was von dankbar, dass sie für mich in den Vorlesungen mitgeschrieben hat und mir hier und da mal so ein bisschen Nachhilfeunterricht gegeben hat.
Augustine: Ich bin in Leipzig geboren und in Franken aufgewachsen, weil meine Familie in den 90ern nach Bayern gezogen ist. Aber es hat mich zurück in diese Stadt gezogen. Damals ist gerade die ZAROF. Akademie gestartet und es ging darum, sie auch nach außen fit zu machen. Das war wie für mich gemacht als Kommunikationswissenschaftlerin!
Ich erinnere mich übrigens noch gut an die Zeit, in der du Mutter geworden bist, Marie. Du hast mir ganz viel davon erzählt.
Marie: Ja, da war ich ganz, ganz transparent. Manchmal vielleicht ein bisschen zu transparent…
Augustine: Für diejenigen, die im Unternehmen bleiben, geht die Frau mit der Kugel und kommt nach einem Jahr wieder. In diesem Jahr passiert aber natürlich sehr viel und man entwickelt sich als Mutter auf mehreren Ebenen weiter. Ich habe gemerkt, dass wir uns auch dadurch noch einmal nähergekommen sind.
Gibt es da Eigenschaften, die euch gerade durch eure Mutterschaft verbinden?
Augustine: Ja, die Fähigkeit zum Time-Boxing.
Marie: Das knallharte Durchknallen. Wir sind Profis im Time-Boxing.
Augustine: Wir haben eine gewisse Zeit, um ein Ziel zu erreichen. Und dann setzen wir alle Hebel in Bewegung und kriegen das wirklich immer hin. Ich bin vom Typ her sehr organisiert, plane die Dinge gut und überlege mir, was ich wie erreichen kann…
Marie: …während ich ein bisschen zu viel „Tüdelü“ habe oder – wie mein geschätzter Partner gerne sagt – der „Tralala-Teil“ meines Gehirns wäre sehr stark ausgeprägt.
Wir bringen beide unsere Unterschiedlichkeit ein, wir werfen die Sachen in einen gemeinsamen Topf, und da kommt dann eigentlich doch auch eine geschmackvolle kleine Suppe raus. Oder ein Curry. Oder ein Glasnudelsalat. Tralala.
Wie seid ihr im Moment organisiert? Seid ihr bereits alle drei Teil der Geschäftsführung?
Kathrin: Wir sind auf dem Weg. Wir machen jetzt gerade auch die rechtlichen Schritte.
Wie kam es dazu, dass ihr die Geschäftsführung gemeinsam übernehmt?
Marie: Ich habe mir gedacht: Ich will nicht alleine ausknobeln, wie die Zukunft ist. Ich bin schon eher auch eine Teamplayerin und Sprechdenkerin. Ich brauche Resonanzfläche und das gemeinsame Entwickeln von Ideen.
Augustine, warst du denn überhaupt von Anfang an von dieser Idee begeistert?
Augustine: Ich denke tendenziell in Worst-Case-Szenarien.
Das ist auch etwas, das uns unterscheidet. Marie ist total enthusiastisch und denkt: Super cool, coole Idee, kriegen wir auf jeden Fall hin! Ich bin eher pragmatisch und denke: Okay, klingt gut, aber wie kommen wir da hin und was brauchen wir dafür?
Marie: Da gab es diese eine Nacht auf eurem Balkon, wo ich dir meine kleine Idee präsentiert habe, und wir dann vor lauter Schreck erst mal ein paar Gläser Sekt zu viel getrunken haben.
Augustine: Das war das Kick-Off.
Am Ende habe ich mir überlegt: Ich bin jetzt mal mutig und sage ja, weil wenn ich es nicht probiere, weiß ich nie, wie es gewesen wäre.
Ich hatte wirklich diesen Mut-Moment für mich, darüber bin ich heute noch froh.
In unserem Gespräch ist deutlich geworden, wie nah ihr euch seid. Aber gerade die Menschen, die uns nah sind, können uns auch am meisten triggern. Wie geht ihr mit Konflikten um?
Marie: Wir haben Formate, in denen wir zu dritt strategisch sprechen. Da geht es schon hoch her, würde ich sagen. Das ist auch für Kathrin nicht immer leicht.
Aber ich glaube, unsere allergrößte Stärke im Miteinander ist, dass wir im Grunde an dasselbe glauben und am Ende des Tages sehr, sehr viel dafür tun, um das zu erreichen. Und gleichzeitig sind wir sehr wertschätzend miteinander. Das ist ein gutes Gefühl.
Welche Botschaften möchtet ihr unseren Leserinnen noch mitgeben?
Kathrin: Macht das wofür euer Herz schlägt, denn das werdet ihr immer gern und gut machen. Und glaubt auch daran, dass ihr es schaffen könnt.
Marie: Sucht euch eine Sparingspartnerin, mit der ihr öfter kichern könnt und bei der ihr euch aber auch mal ausheulen dürft – eine enge vertraute Person, mit der ihr Lust habt Dinge zu erreichen.
Augustine: Ihr werdet euch als Mama und Unternehmerin sehr gut selbst kennenlernen. Das ist die allergrößte Challenge – aber es lohnt sich.
Dieser Beitrag ist Teil des Ausstellungsprojektes MAMA MAGMA von unserer Kolumnistin Anne Schwerin über Frauen, die Unternehmerinnen bzw. Selbständige und Mamas sind. Im Mittelpunkt des Projektes steht die Frage, wie die Erfahrung der Mutterschaft unternehmerisches Handeln transformiert. Nachdem die Bilder bereits 2024 im Foyer der IHK zu Leipzig öffentlich ausgestellt wurden, werden sie vom 18. September bis 18. November 2025 noch einmal bei ZAROF. gezeigt. Frei zugänglich ist die Ausstellung am 19. September von 14 bis 16 Uhr im Rahmen des Festivals „Gutes Leben Leipzig“. Zu den Beiträgen der weiteren Frauen geht es hier.